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Kanada: Radioaktive Jagdgründe

Kanada ist historisch betrachtet der größte Uranproduzent der Welt. Die indigenen Völker, auf deren Land die Minen liegen, wurden nie über die Gefahren des Uranbergbaus informiert. Die Folgen des Bergbaus gefährden bis heute ihre Gesundheit

Es sei vor Ankunft der Europäer*innen gewesen, so wird erzählt, als weit im kanadischen Norden in den Northwest Territories eine Gruppe indianischer Jäger von der Karibujagd heimkehrte und nahe des Great Bear Lake an einem Felsen, den sie Somba Ke nannten, ihr Nachtlager aufschlugen. Zu den Männern gehörte ein Schamane, der bis zum Morgengrauen sang und die Trommel schlug. Als die Sonne aufging, erzählte er von seiner Vision: Wo sie lagerten, rissen Männer mit weißer Haut die Erde auf, bohrten ein Loch und holten Gestein aus dem Inneren, daraus machten sie Stäbe, die von einem eisernen Vogel zur anderen Seite der Weltkugel geflogen und dort abgeworfen wurden. Alles Leben am Boden wurde dadurch vernichtet. Die Opfer sahen aus wie Indianer*innen, waren aber keine. Die Menschen sollten, so die Warnung des Medizinmanns, künftig dem Felsen fernbleiben.

Als in den 30er Jahren an der Echo Bay, am Ostufer des Großen Bärensees im Land der Sahtú Dene, die Eldorado Gold Mines eröffnet wurden, dachte niemand an die Prophezeiung. Doch als Pechplende (ein Uranoxid) gefunden wurde, ließen die Unternehmen das Gold liegen und machten ihren Gewinn mit Radium, einem Zerfallselement von Uran. Die alten Warnungen schienen vergessen. Viele Jäger*innen ließen das Jagen sein und nahmen die neuen Jobs in Port Radium an, wie das Minenareal jetzt hieß, wurden Bergleute und trugen arglos die Säcke mit dem Erz auf den Schultern zu den Schiffen, die sie von Port Radium zu den Mühlen brachten. Unter Geheimhaltung wurden die Säcke zur Verarbeitung nach Port Hope in der Provinz Ontario gebracht, von dort nahm der Yellowcake dann seinen Weg nach Los Alamos im US-Staat New Mexico. Von den 50er Jahren bis 1971 war die US-Regierung die alleinige Abnehmerin, vor allem für militärische Zwecke.

Als Jahrzehnte später viele indigene Bergleute der Krebs dahin raffte, erinnerte man sich der alten Prognose. Déline, das ehemalige Fort Franklin, die Heimat der meisten, wurde bald »Village of Widows« genannt. 2005 veröffentlichte die Regierung einen Bericht, in dem sie die unzureichende Information der Bevölkerung einräumte und Empfehlungen für Verbesserungen in der Gemeinde nannte; Empfehlungen für irgendeine Art von Entschädigung nannte sie nicht. Douglas Chambers, ein für die kanadische Regierung tätiger Arzt, erklärte in einem Interview mit dem kanadischen Staatssender CBC, dass »das potenzielle Krebsrisiko im Zusammenhang mit dem Transport des Erzkonzentrats extrem gering ist, und zwar so gering, dass es nicht nachweisbar ist«.

Bereits 1998 reiste eine Delegation Diné-Frauen nach Japan und bat die Hibakusha, die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki, um Vergebung dafür, dass ihre Ehemänner jenes Uran geschürft und befördert hatten, das schließlich in den Atombomben »Little Boy« und »Fat Man« verarbeitet wurde. Heilung, so die indianische Sicht, verlangt, dass sich Kreise schließen, um Versöhnung zu ermöglichen.

Die größten Uranvorkommen Kanadas wurden 1949 im sogenannten Athabasca Basin und 1954 am Elliot Lake entdeckt, damit verlagerte sich die Gewinnung in die Provinzen Saskatchewan und Ontario, wovon vor allem die Cree und Anishinabe (Ojibway) betroffen waren. Am Nordufer des Lake Athabasca entstand die Beaverlodge Mining Area, ein Konglomerat der staatseigenen Eldorado Nuclear Ltd. und der Provinzstadt Uranium City, für drei Jahrzehnte eine Boomtown mit rund 6 000 Einwohner*innen. 1982 schlossen die Minen, zurück blieb eine Geisterstadt, die 2016 noch 73 Seelen zählte.

In Ontario betrieben die Firmen Denison Mines und Rio Algom zwölf Minen, die Kleinstadt Elliot Lake gab sich den Namen »Uranium Capital of the World« – Ende der 50er Jahre kamen 74 Prozent des kanadischen Urans von hier. Alarmiert durch die hohe Zahl von Lungenkrebsfällen, begannen Arbeiter*innen in den 70er Jahren zu streiken; der Protest wurde verstärkt vom Volk der Anishinabe des nahegelegenen Reservats »Serpent River« am Nordufer des Lake Huron. Fünf der Elliot Lake Minen schlossen in dieser Zeit, die restlichen sieben erst in den 90er Jahren; die Tailings wurden von Denison und Rio Algom saniert, die Regierung kümmerte sich nicht darum.

In Saskatchewan wurde die Gunnar Mine südlich von Uranium City 1964 geschlossen, zurück blieben 4,4 Millionen Tonnen als strahlende Altlast. Die Kosten werden auf 280 Millionen kanadische Dollar geschätzt. Die letzten aktiven Minen in Saskatchewan blieben zunächst McArthur River und Cigar Lake. Im Jahr 2019 wurde McArthur River von seinen Betreibern Cameco und Orano auf unbestimmte Zeit stillgelegt. Cigar Lake wird weiterhin betrieben, da der Urangehalt des Erzes außerordentlich hoch ist – meist zwischen 10 und 13, zum Teil sogar bis zu 20 Prozent.

Die drei Straßen, die in den Norden führen, wurden allein für die Minen gebaut. Sie durchschneiden sogenanntes »Treaty 10«-Land. Während die ersten sieben Verträge mit den First Nations, die ab 1871 geschlossen wurden, im ganzen Land galten, um die europäischen Siedlungen und die kanadische Eisenbahn Richtung Pazifik voranzubringen, war das Motiv für die Verträge 8 bis 11 der Abbau von Ressourcen. Ihre Vertragsdauer war bis 1921 befristet.

Das Athabasca Basin gehört zur Subarktis, einer Region die bis zur Baumgrenze reicht und die Arktis einrahmt; sie ist von Seen, Bächen und Sümpfen durchzogen und normalerweise von Oktober bis Mai von Schnee bedeckt, jedoch verändert der Klimawandel dieses Wetterschema. Landwirtschaft ist nicht möglich, Jagd, Fallenstellerei und Fischfang gelten hier als einzig mögliche Überlebensform. Radioaktivität aus Uranminen und der dazu gehörigen Mühlen inklusive ihrer Abraumhalden kann in der Tundra kaum eingegrenzt werden. Die indianischen Jäger*innen, die nie über die möglichen Gefahren aufgeklärt wurden, berichten von Elchföten mit zwei Köpfen und blinden oder deformierten Fischen.

Der Norden Kanadas ist immer noch ein Wildnisgebiet, dünn besiedelt und isoliert von den großen Städten im Süden. Lange Zeit stieß der Widerstand der indigenen Völker auf taube Ohren. Doch als Aktivist*innen der First Nations auf den ersten internationalen Konferenzen der kanadischen Anti- Atomkraft-Bewegung in den 80er Jahren und auf dem World Uranium Hearing 1992 in Salzburg auf Gleichgesinnte trafen, entstand ein Widerstandsnetzwerk, das sich heute als vereinte Kraft Gehör verschafft.

Die kanadische Regierung erwägt inzwischen die Einrichtung von zwei Atommülldeponien in Ontario – und prüft die Vergabe neuer Lizenzen für die Gewinnung von Öl aus den Teersanden, die bereits weite Teile von Alberta in eine Mondlandschaft verwandelt haben. »Wir werden nicht aufhören zu kämpfen«, sagt der Dene-Jäger Don Montagrand. »Wir kämpfen für unsere Kinder.«

Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde östlich der James Bay im Norden der Provinz Québec Uran gefunden. Auf einen Protestmarsch von Cree-Jugendlichen im Dezember 2014 von Mistissini nach Québec (Stadt) und dann nach Montreal – eine Strecke von mehr als 850 Kilometern – folgte ein Welt-Uran-Symposium in Québec (Stadt). 2015 beendete die Provinzregierung die Verhandlungen mit Strateco Resources und verkündete bis auf weiteres ein Moratorium.

Weiterführende Informationen

• Guter Überblick: ccnr.org, miningwatch.ca
• Jim Harding: Canada’s Deadly Secret, Saskatchewan Uranium and the Global Nuclear System, Fernwood Publishing 2007