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Atomwaffen: DAS NEUE WETTRÜSTEN

Ein Atomkrieg kennt keinen Sieger. Dennoch erneuern Atommächte ihre Arsenale und setzen auf »kleine Nuklearwaffen«.

Kaum jemand hat sich vorstellen können, dass Russland unter Putin die Ukraine überfällt und mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, um andere Staaten von einer Intervention abzuhalten. Die Nato-Atommächte haben nicht vergleichbar reagiert, zumindest nicht öffentlich. »Das ist der richtige Schritt zur Deeskalation«, sagt Friedensforscher Sascha Hach. »Jedes Drohen vergrößert in dieser Situation nur das gegenseitige Misstrauen und Fehlinterpretationen.« Angesichts des Ukrainekrieges scheint es auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass auch Deutschland seine Streitkräfte aufrüsten will. »Aber um zu einer friedlichen Koexistenz zurückkehren zu können und eine nukleare Eskalation zu vermeiden, müssen wir Verbindungen offenhalten und den sicherheitspolitischen Dialog mit Russland suchen«, betont Sascha Hach, »auch wenn dies schwerfällt.« Nebenbei bemerkt: Als Nachfolgestaat der Sowjetunion übernahm Russland alle auf dem Gebiet der Ukraine stationierten Atomwaffen.

Dass die atomare Bedrohung steigt, verdeutlicht die aktuelle Entwicklung: Anfang 2021 besaßen die neun Atommächte insgesamt 13 081 Atombomben, wie das Friedensforschungsinstitut SIPRI feststellt. Das sind zwar 320 Sprengköpfe weniger als im Vorjahr, aber die Verkleinerung des Atompotenzials ist kein Zeichen der Abrüstung. »Sie ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die USA und Russland ausgemusterte Sprengköpfe demontieren«, stellt SIPRI in seinem Jahresbericht fest. »Der weltweite Abbau einsatzbereiter Sprengköpfe scheint zum Stillstand gekommen zu sein, ihre Zahl könnte wieder ansteigen.«

US-Präsident Barack Obama sprach 2009 von der Vision einer atomwaffenfreien Welt. Aber statt daran anzuknüpfen, modernisieren die Atommächte ihre Arsenale. Sie brauchen dafür weder einen Nachschub von Plutonium noch von hoch angereichertem Uran. Denn Mitte der 1980er Jahre verfügten sie noch über 70000 Atomsprengköpfe. Über drei Viertel haben sie abgerüstet, einen Großteil des Bombensprengstoffs jedoch nicht vernichtet. Unter Donald Trump wurde die Entwicklung neuer, insbesondere kleinerer »taktischer « Atomwaffen forciert. Dabei haben die meisten der »kleinen Atombomben« immer noch die gleiche Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe, also der Bombe, die am 6. August 1945 700000 bis 80000 Menschen sofort tötete. Was ein Atomkrieg bedeuten würde, zeigt auch eine Studie der Ärzt*innenorganisation IPPNW: Ein Krieg mit 100 Atombomben hätte eine globale Hungerkatastrophe mit bis zu zwei Milliarden Toten zur Folge.

Neben den USA ist auch Russland dabei, sein gesamtes Arsenal zu modernisieren und wird diesen Prozess voraussichtlich Mitte oder Ende der 20er Jahre abgeschlossen haben. Bereits jetzt ist ein Großteil des strategischen Arsenals erneuert worden. Die Modernisierungsprogramme beider Staaten betreffen nicht nur die nuklearen Sprengköpfe, sondern auch Raketen- und Flugzeugsysteme. Russland hat sowohl im Langstreckenbereich, als auch im für Europa besonders bedrohlichen Mittelstreckenbereich Trägersysteme neu entwickelt und stationiert. Auch die anderen nuklear bewaffneten Staaten entwickeln oder stationieren neue Waffensysteme, so der SIPRIReport. China ist gerade dabei, sein Atomwaffenarsenal erheblich zu erweitern, und auch Indien und Pakistan scheinen ihre Atomwaffenbestände zu vergrößern. Nordkoreas militärisches Nuklearprogramm ist zentraler Bestandteil seiner nationalen Sicherheitsstrategie.

Begleitend zu ihrer atomaren Aufrüstung haben die beiden größten Atommächte in ihren Doktrinen die Hemmschwelle für einen Einsatz herabgesetzt und die möglichen Optionen erweitert. Die russische Drohung im Ukrainekrieg bricht ein Tabu und zeigt, wie weit diese Entwicklung führen kann. Die zunehmende Entgrenzung möglicher Einsatzszenarien muss dringend rückgängig gemacht werden. Unter Präsident Joe Biden überarbeiten die USA ihre Nuklear-Doktrin. Ursprünglich wollte der Präsident die Rolle von Nuklearwaffen auf ein Minimum reduzieren und bis auf den Fall der unmittelbaren Gefahr eines gegnerischen Nukleareinsatzes auf den Ersteinsatz verzichten. Ob dies angesichts des Kriegs gegen die Ukraine so bleibt, ist ungewiss. Die schwarz-rote Bundesre gierung stemmte sich im Herbst 2021 gemeinsam mit Großbritannien, Frankreich, Japan und Australien dagegen.

Die Alternative zur Zuspitzung der atomaren Bedrohung ist eine atomwaffenfreie Welt. Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen (ICAN) brachte bereits im Juli 2017 ein Abkommen zum Verbot von Atomwaffen vor die Vereinten Nationen: 122 Staaten haben dafür gestimmt, 86 haben den Vertrag mittlerweile unterzeichnet, 59 ratifiziert – im Januar 2021 ist er in Kraft getreten. Deutschland gehört nicht zu den Unterzeichnern. Denn auf dem US-Militärstützpunkt Büchel in der Eifel lagern gefechtsbereite Atombomben. Immer mehr Menschen engagieren sich für eine Welt ohne Atomwaffen. Seit 1982 setzt sich die in Japan gegründete Organisation »Mayors for Peace« für die Abschaffung aller Atomwaffen ein. 8065 Städte aus 166 Ländern und Regionen haben sich ihr inzwischen angeschlossen.

KEIN GELD FÜR BOMBENBAU

ICAN untersucht mit der Kampagne »Don’t Bank on the Bomb« seit 2012 die Kreditvergabe zum Bau von Atombomben. Alle zwei Jahre veröffentlicht die NGO einen Report zur aktuellen Entwicklung: 25 Unternehmen sind nach wie vor stark in die Produktion, Herstellung und Entwicklung von Atomwaffen involviert: Zwischen Januar 2019 und Juli 2021 haben 338 Finanzinstitute aus 31 Ländern diesen Unternehmen rund 685 Mrd. USD zur Verfügung gestellt, das sind 44 Mrd. mehr als im Vorjahr. Im Jahr 2021 kamen die 10 größten Investoren allesamt aus den USA: Vanguard, State Street, Capital Group, BlackRock, Bank of America, Citigroup, JP Morgan Chase, Wells Fargo, Morgan Stanley und Wellington Management. Größter Nicht-US-Investor: die Deutsche Bank mit 14 Mrd. USD. Wesentliche Entwicklung: Immer mehr Finanzinstitute trennten sich bisher von ihren Beteiligungen an Atomwaffen, und die Zahl der Investoren sinkt von Jahr zu Jahr. Da der Ukraine-Krieg die atomare Abrüstung erschwert, ist es um so wichtiger, dass die Zivilgesellschaft Stellung bezieht: Jede*r kann seine Bank fragen, ob sie Kredite an Konzerne vergibt, die mit Atombomben Geschäfte machen.

Weiterführende Informationen

• IPPNW-Studie: Nuclear Famine. Two Billion People at Risk, als PDF auf ippnw.de Links: mayorsforpeace.org; ican.org; dontbankonthebomb.com
• »Nukes Ready To Fly«
by Andrew Barr and Richard Johnson, National Post, 2012: nationalpostcom.files.wordpress.com/2012/05/fo0505_nuclearweaponsw1.pdf