Atomkraft für den Globalen Süden?
Bereits Ende Mai meldete die Nachrichtenagentur Reuters, dass Ghana bis Ende des Jahres 2024 ein Unternehmen zum Bau seines ersten Atomkraftwerks auswählen will. Infrage kämen die französische EDF, die US-Unternehmen NuScale Power und Regnum Technology Group sowie die chinesische CNNC - so zitiert Reuters einen Beamter des ghanaischen Energieministeriums. Daneben konkurrieren das südkoreanische Unternehmen Kepco, seine Tochtergesellschaft Korea Hydro Nuclear Power Corporation sowie der russische Staatskonzern ROSATOM um den Auftrag.
Als weitere afrikanische Staaten werden Uganda, Burkina Faso, Kenia, Namibia und Marokko als Neueinsteiger in die Atomkraft umworben. Und auch Südafrika steht auf der Liste der Atomindustrie. Die beiden Meiler des AKW Koeberg gingen 1984 und 1985 ans Netz und müssen nach 40 bzw. 39 Jahren Laufzeit in naher Zukunft stillgelegt werden. Die AKW-Bauer werben deshalb für neue Atommeiler. Nachdem die Türkei bereits seit 2018 den Bau von vier Meilern am Standort Akkuyu mit einer Leistung von jeweils 1200 MW vorantreibt - Kraftwerksbauer ist Rosatom - hat die türkische Regierung Pläne zum Bau von vier weiteren Meilern am Standort Sinop an der Schwarzmeerküste bekannt gegeben, falls es dazu komme, gehe der Auftrag zu 90% wieder an Rosatom berichtet die türkische Hurriyet Daily News.
Microsoft-Gründer Bill Gates wiederum investierte laut Handelsblatt bereits eine Milliarde Euro, um mit seinem Start-Up Terrapower kleine modulare Reaktoren zu entwickeln. Weitere Milliarden sollen folgen, um bis zum Jahr 2030 die erste Anlage im US-amerikanischen Bundesstaat Wyoming fertigzustellen.
Wie unsinnig all diese AKW-Projekte allein aus wirtschaftlichen Gründen sind, zeigt sich an verschiedenen Beispielen. Die türkische Ausgabe des Uranatlas zeigte bereits vor einem Jahr, auf welche Kosten sich die Erdogan-Regierung eingelassen hat: Der russische Staatskonzern Rosatom als Betreiber des Kernkraftwerk in Akkuyu erhält 12,35 Dollar-Cent pro Kilowattstunde für die Hälfte des dort erzeugten Atomstroms. Die andere Hälfte wird nach Marktpreis vergütet. Dabei lässt sich in der Türkei Strom aus Windkraft derzeit für 2 $-Cent pro Kilowattstunde erzeugen, Sonnenstrom liegt zwischen 1 und 1,7 $-Cent. Und selbst Strom aus der grundlastfähigen Geothermie, die rund um die Uhr betriebsbereit ist, kostet mit 2,9 $-Cent pro Kilowattstunde nur einen Bruchteil.
Die neue Greenpeace-Studie Fission for Funds – The Financing of Nuclear Power Plants kommt zum Schluss, dass der Staat bei Atomenergieprojekten (in der EU) immer wieder einspringen muss, um Finanzierungslücken zu schließen und dabei hohe wirtschaftliche Risiken eingeht. “Atomenergie ist ein Loch ohne Boden für die Steuerzahler", erklärt Greenpeace-Atomexperte Roger Spautz. "Vorlaufkosten, Verzögerungen sowie wirtschaftliche Rettungspakete machen die Atomkraft zu einer echten Belastung für die Staatsausgaben und gefährden konkrete Klimaschutzmaßnahmen. Wind- und Solarenergie sind schon heute deutlich günstiger als Atomstrom, und ihre Kosten sinken weiter.”
Das noch immer nicht fertig gestellte französischen AKW Flamanville ist ein erschütterndes Beispiel für die Wirklichkeit neuer Atomprojekte: Der Bau war mit 4 Milliarden Euro kalkuliert und sollte 2012 verwirklicht sein. Vielleicht geht das AKW 2025 ans Netz. Die aktuellen Baukosten belaufen sich laut französischen Rechnungshof inzwischen 19,1 Mrd. €. Geht man davon aus, dass das AKW ab dem kommenden Jahr 40 Jahre ununterbrochen am Netz bleibt und Strom einspeist (was allein aus technischen Gründen unmöglich ist), dann erzeugt es in diesen 40 Jahren mit seiner Leistung von 1650 MW 578.160.000.000 Kilowattstunden Strom. Rechnet man die Produktionskosten darauf um, so ist jede Kilowattstunde nur damit bereits mit 3,3 Euro-Cent belastet. Dazu kommen Kosten fürs Personal, für die Wartung, mögliche Störfälle, für den Brennstoff aus Uran und irgendwann für die Endlagerung, die in den meisten Ländern der Welt noch immer nicht geklärt ist. Nicht zu sprechen vom Risiko eines Super-GAUs wie in Tschernobyl oder Fukushima.
Eine solche Technologie will die Atomindustrie jetzt den Ländern des Südens verkaufen. Ein wirtschaftliches Unding. Und wie das Beispiel Türkei zeigt, gehen einzelne Staaten tatsächlich darauf ein, ohne die wirtschaftlichen Folgen zu berücksichtigen. Rein ökologisch betrachtet, ist Atomkraft ohnehin die schlechteste aller Möglichkeiten, um Strom zu produzieren.