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Deutschland I: DIE ALTLAST DER WISMUT

Uranbergbau in Sachsen und Thüringen: Fast vergessen, mit Milliardenaufwand saniert, aber immer noch ein Problem.

Obwohl Uranbergbau nach der Wende eingestellt wurde, ist Deutschland historisch betrachtet noch immer der fünftgrößte Uranproduzent der Welt. Das ist kaum bekannt. Bereits im Ditten Reich betrieb die Sachsenerz GmbH mehrere Uranbergwerke im Erzgebirge, um Nazi-Deutschland den Bau der Atombombe zu ermöglichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die sowjetische Wismut SAG die För­derung, ab 1954 die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut (SDAG Wismut), an der die DDR zu 50 Prozent beteiligt war. Der Rohstoff ging fast 20 Jahre ausschließlich in das Atombombenprogramm der Sowjetunion.

1962 wurde die SDAG Wismut zur Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen der DDR verpflichtet. Es gab allerdings erst 1964 eine Strahlenschutzverordnung, von der wiederum der Uranbergbau ausdrücklich ausgenommen wurde: Die »Wismut« wurde formell nicht der Aufsicht des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) unterworfen, sondern zur Eigenüberwachung berechtigt und verpflichtet. Dabei waren in den Jahren nach dem Krieg vor allem die Radonbelastung in den Stollen enorm hoch und an Lungenkrebs erkrankte Bergleute längst als Problem erkannt (s.S. 10-11). Um die Brisanz des Uranbergbaus und die mögliche Vergiftung zu verschleiern, fand er von vornherein unter dem Tarnnamen »Wismut« statt, benannt also nach einem Metall, das schon früher im Erzgebirge abgebaut und zu Legierungszwecken verwendet wurde. Erst 1985 vereinbarte das SAAS mit der SDAG Wismut, dass es radioaktive Ableitungen an die Umgebung überwachen und die Übergabe stillgelegter Betriebe und Einrichtungen an andere Rechtsträger*innen oder Nutzer*innen regeln darf.

Deutscher Uranbergbau: seine Tailingmengen je Bundesland
Deutscher Uranbergbau: seine Tailingmengen je Bundesland

Am 16. Mai 1991 ging der sowjetische Anteil der SDAG Wismut offiziell auf die Bundesrepublik über. Damals arbeiteten rund 45000 Menschen in dem Unternehmen. Zwar wurde 1990 das bundesdeutsche Strahlenschutzrecht auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgeweitet, doch es gab eine wesentli­che Ausnahme: Für bergbauliche und andere Tätigkeiten gilt bis heute ausdrücklich die »Verordnung über die Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz« der DDR weiter.

Die Hinterlassenschaft der Wismut wurde nach der deutsch-deutschen Vereinigung damit nicht dem Atomrecht der Bundesrepublik unterstellt, sondern dem Strahlenschutzrecht der DDR aus dem Jahr 1984. Ein einfacher gesetzgeberischer Trick reichte damit aus, um unzählige Milliarden bei der Sanierung einzusparen. Eine Verfassungsbeschwerde wegen der schwächeren Schutzregelungen hat das Bundesverfassungsgericht 1999 nicht zur Entscheidung zugelassen, weil es in der Sache um eine Altlastensanierung singulären Ausmaßes gehe. An die Sanierung von Altlasten dürften nicht die Zielvorstellungen des Vorsorgeprinzips angelegt werden, wie es in der Begründung heißt. Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes stoße aus naturwissenschaftlichen und technischen Gründen an Grenzen. Wegen dieser Nichtzulassung gibt es bis heute keine bundeseinheitliche rechtliche Regelung zum Umgang mit radioaktiven Altlasten und damit auch keinen gesetzlich vorgeschriebenen Maßstab für die radiologische Bewertung der Wismut-Reste.

Worum es geht, offenbart der Blick auf diese Hinterlassenschaft: Bis 1990 hatten die Kumpel in Sachsen und Thüringen 231 000 Tonnen Uran aus der Erde geholt. Doch das war nicht alles. Auf einer Fläche von rund 3 700 Hektar blieben 48 radioaktiv kontaminierte Halden mit über 300 Millionen Kubikmetern Gesteinsresten zurück. Die Aufbereitung des Urans zu Yellowcake wiederum hinterließ weitere 160 Millionen Kubikmeter Schlämme mit der ganzen Palette radioaktiver Zerfallsprodukte und etlicher anderer Schadstoffe. All das musste saniert werden.

Während Politik, Wissenschaft und Industrie bis heute offiziell erklären, dass Atommüll in der Bundesrepublik Deutschland langfristig in tiefen geologischen Formationen gelagert werden soll, gilt dies für die Hinterlassenschaft der SDAG Wismut auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht. Nicht nur, dass die strahlenden Halden und Tailings vor Ort verbleiben, auch der radioaktiv kontaminierte Schrott und Bauschutt aus dem Abriss der übertägigen Betriebsanlagen zur Förderung und Aufbereitung des Urans wurden und werden nicht »endlagergerecht« konditioniert, zwischengelagert und später in ein dafür geeignetes Lager gebracht.

All das wurde einfach vor Ort in die Halden und Tailings mit eingebaut. Ohne Planfeststellungsverfahren, ohne Öffentlichkeitsbeteiligung und ohne Langzeitsicherheitsnachweis wurden sie zu »Bundesendlagern« umfunktioniert. Dabei kamen einfach die früher geltenden und schwächeren Schutznormen des Strahlenschutzrechts der DDR zur Anwendung.

Im Landschaftsbild ist vom Uranbergbau und seinen Folgen nicht mehr viel zu sehen. Abraumhalden wurden kom­plett umgelagert und offene Tagebaugruben damit zugeschüttet. Bereits zur Bundesgartenschau 2007 präsentierten die Sanierer*innen der Wismut die Region als »Neue Landschaft Ronneburg« einer staunenden Öffentlichkeit.

Ehemalige Absetzbecken wurden allerdings nur abge­deckt und nicht abgedichtet. Ein Teil der Niederschläge sickert deshalb nach wie vor durch die feinkörnigen Bergbaurückstände hindurch, so dass giftige Stoffe ins Grundwasser gelangen. Unabhängig davon gibt es eine dauerhaft erhöhte radioaktive »Grundstrahlung« in den betroffenen Gebieten Thüringens und Sachsens – in der Zwickauer Mulde, der Elbe, der Weißen Elster, der Pleiße sowie in diversen Bächen, in die die behandelten Gruben- und Flutungswässer abgeleitet werden, oder in den Gebieten, in denen kontaminiertes Grundwasser an die Oberfläche steigt. Dadurch wird bereits die offizielle Sanierung zum Problem.

Etliche Minen in Thüringen und Sachsen waren jedoch bereits wenige Jahre nach Beginn des Uranabbaus ausgebeu­tet, so dass die Förderung schon in den 1950er oder 1960er Jahren endete. Sie hinterlassen Altlasten, an die niemand gedacht hat, als 1990 der Einheitsvertrag geschrieben wurde. Die Wismut GmbH ist deshalb aufgrund des Wismut-Gesetzes ausschließlich zur Sanierung der Anlagen verpflichtet, die sich am 30. Mai 1990 im Besitz der SDAG Wismut befanden, und für alle anderen Altlasten überhaupt nicht zuständig. Verantwortlich ist die jeweilige Kommune.

Während in Sachsen mit Unterstützung der Landesregierung bis Ende 2016 18 Sanierungsprojekte in 46 Städten und Gemeinden durchgeführt und 2019 nochmals über 200 Millionen Euro bereit gestellt wurden, stellte die thüringische Landesregierung dafür bisher keine Mittel zur Verfügung. Das Land Thüringen und die Bundesregierung schlossen 1990 zwar einen Generalvertrag über die Sanierung von Bergbauresten, und das Bundesland erhielt dafür auch einen dreistelligen Millionenbetrag. Dieses Geld floss aber ausschließlich in die Sanierung des Kalibergbaus. Kommunen, die eine Halde »geerbt« haben, sind zwar zuständig, für sie sind aber keine Gelder mehr übrig geblieben.

Die Wismut GmbH hat für ihren Teil der Sanierung bis Ende 2021 6,9 Milliarden Euro an Steuergeldern ausgegeben. Die Kosten werden in Thüringen und Sachsen bis 2045 auf rund acht Milliarden Euro steigen, fast zwei Milliarden mehr als ursprünglich veranschlagt. Denn vor allem die Umweltüberwachung und Wasserreinigung werden auf lange Zeit ein Thema bleiben. Hinzu kommen Kosten für die Altstandorte, deren Sanierung im Einheitsvertrag nicht geregelt wurde. Schätzungen gehen von weiteren 900 Millionen Euro aus.

Im reichen Deutschland ist damit bereits viel getan wor­den, um die Altlasten des Uranbergbaus zu sanieren und die Strahlenbelastung zu verringern. Und es werden weitere Milliarden folgen. Trotz dieses immensen Aufwands lässt sich die Belastung nicht vollständig beseitigen.

In nahezu allen anderen Regionen der Welt, in denen Uran abgebaut wurde und wird, geht man dieses Problem aber nicht einmal an. Es mangelt an Interesse und vor allem an den erforderlichen Milliardenbeträgen.

Weiterführende Informationen

• Rainer Karlsch: Uran für Moskau, Ch. Links Verlag 2007
• Michael Beleites: Pechblende, als PDF auf wise-uranium.org
• Frank Lange: Das Erbe der Wismut, als PDF auf ippnw.de; wismut.de